Kursdetails

Bulgarische Gegenwartsliteratur - ein Terrain, das seine Entdeckung lohnt

Kursnr. 241KS92003
Beginn Mi., 20.03.2024, 18:45 - 20:15 Uhr
Dauer 6 Termine
Kursort Online-Kurs / Zoom 1
Gebühr 70,00 €
Dozent(en) Dr. Volker Herrlinger-Mebus




Kursbeschreibung

Der bekannteste Schriftsteller bulgarischer Herkunft dürfte immer noch Elias Canetti sein, der die wenigen glücklichen Kindheitsjahre, die er in Bulgarien verbrachte, in „die gerettete Zunge“ beschreibt. Wie ihm erging es auch späteren bekannt gewordenen Autor*Innen: um zu reüssieren, mussten Sie Land und Sprache hinter sich lassen: Julia Kristeva und Zvetan Todorov verschlug es nach Paris, Ilija Trojanow nach Deutschland, Dimitré Dinev nach Wien. „Es geht wohl keinem mehr gold im Lande des Thrakergoldes“, beschreibt die Lyrikerin Mirela Ivanova die perspektivlose Nachwendezeit und Alek Popov benennt Heimat als einen „Ort, den die Lebenden verlassen und an den die Toten zurückkehren“. Tatsächlich zerbrachen mit der Wende alle habituierten Strukturen: Verlage, Vertriebe, Autor*Innen-Subventionen. Der von der Zensur inspizierte sozialistische Realismus erschien anachronistisch, die in den 60ern geborene neue Autor*Innen-Generation blickte weit über den Tellerrand der bulgarischen Welt hinaus.
Der Krieg in der Ukraine erstreckt sich zunehmend auf den kulturellen Bereich. Dostojewski-Vorlesungen werden abgesagt, Tschaikowskys „Jungfrau von Orléans“ wird in St. Gallen durch Verdis „Giovanna d’Arco“ ersetzt, wiewohl beide Opern auf Schillers gleichnamigem Drama basieren. Dabei war Fjodor Dostojewski trotz seiner Kritik des Westens durchaus imstande, die „heiligen Steine“ der westlichen Kultur wertzuschätzen, wie Nietzsche ihn wiederum als den einzigen Psychologen apostrophierte, von dem er etwas zu lernen hatte. Tschaikowskys Familie lebte in der Nähe von Kiew, und er hätte bestimmt alles getan, um sie vor dem jetzt statthabenden Albtraum zu bewahren. Während Thomas Mann noch von der „anbetungswürdigen…heiligen russischen Literatur“ handelte, scheint es jetzt darum zu gehen, alles Russische möglichst zu eliminieren, was umgekehrt einer orthodoxen Dämonisierung europäischer Impulse in die Hände spielt. Ausgelöscht scheint das von Gorbatschow lancierte Konzept eines „gemeinsamen europäischen Hauses“. Vor diesem Hintergrund entstand der Vorschlag bei den TN des Sommersemester-Seminars, die russische Gegenwartsliteratur im Wintersemester auf den Prüfstand zu stellen.
Die Perestrojka-Periode (Abschaffung der Zensur) wirkte massiv in die Russische Föderation hinein: einerseits konnte die im „samizdat“ zirkulierte Literatur offiziell gedruckt, die „Schubladen“-Autor*innen ins Licht gerückt werden, andererseits hielt das Phänomen der „massovaja literatura“, der auf den Massengeschmack zugeschnittenen Konsumliteratur, Einzug: die Literatur wurde den Gesetzen der Marktwirtschaft subsumiert: PR, Marketing, Literaturpreise, Kritik. Bis dato nicht zu Habendes boomte: ausländische westliche Literatur. Junge russische Autor*innen hatten es schwer, Verleger*innen zu finden. Die Literatur erlebte einen Funktionswechsel: weg von einer normativ-didaktischen Ausrichtung zu einer nicht selten überkompensierenden Ästhetik des Skandals wie des Schocks. Simultan verloren bis dato privilegierte Schriftsteller*innen ihr symbolisches (hohes Ansehen) wie materielles Kapital (Existenzsicherung).
Anhand ausgewählter Texte soll an 6 Abenden, jeweils Mi 18.30 – 20.00 Uhr, in 3-wöchigem Turnus sondiert werden, wie die Vorgänge vor und nach 1989 innerhalb der russischen Gegenwartsliteratur reflektiert werden, was an vielfältiger Auseinandersetzung möglich ist und wie sich diese Auseinandersetzung mit der Fragestellung nach dem Eigenen und dem Fremden, dem speziell Russischen wie dem europäisch Integrierenden, verknüpft.
Beginnen wollen wir mit:
Julia KISSINA: Elephantinas Moskauer Jahre, Suhrkamp Verlag

Die weiteren Texte in der Reihenfolge der Seminarstunden sind:
Vladimir SOROKIN: Der Zuckerkreml, Kiepenheuer und Witsch Verlag sowie Tatjana TOLSTAJA: Kys, Rowohlt Verlag
Natalia KLJUTSCHAROWA: Endstation Russland, Suhrkamp Verlag
Arkadi BABTSCHENKO: Die Farbe des Krieges, Rowohlt Verlag

Marina PALEI: Rückwärtsgang der Sonne, Droschl Verlag
Alexander ILLITSCHEWSKI: Matisse, Matthes und Seitz Verlag

Online-Kurs / Zoom 1


Datum
Uhrzeit
Ort
Datum
20.03.2024
Uhrzeit
18:45 - 20:15 Uhr
Ort
Online-Kurs / Zoom 1
Datum
10.04.2024
Uhrzeit
18:45 - 20:15 Uhr
Ort
Online-Kurs / Zoom 1
Datum
08.05.2024
Uhrzeit
18:45 - 20:15 Uhr
Ort
Online-Kurs / Zoom 1
Datum
29.05.2024
Uhrzeit
18:45 - 20:15 Uhr
Ort
Online-Kurs / Zoom 1
Datum
19.06.2024
Uhrzeit
18:45 - 20:15 Uhr
Ort
Online-Kurs / Zoom 1
Datum
10.07.2024
Uhrzeit
18:45 - 20:15 Uhr
Ort
Online-Kurs / Zoom 1

Kurs teilen: